Thomas Arens beschreibt die religiösen Suchbewegungen in seinem Leben. Der Musiker und Pädagoge
engagiert sich ehrenamtlich im Krankenhaus der Augustinnerinnen, beim Friedensgebet und
in der Liturgiewerkstatt.
Ich stamme aus einer frommen Familie, die in einem sehr katholischen Dorf im Sauerland lebte.
Doch ich hatte (und habe wohl immer noch) einen wilden, rebellischen Geist mit vielen verrückten
Ideen und vielen Fragen, die den Dingen unangenehm tief auf den Grund gehen. Obwohl religiös sehr
interessiert, trat ich deshalb schon mit 18 Jahren aus der Kirche aus. Doch der Hunger nach
spiritueller Nahrung nagte weiter an mir. Viele Jahre lang fand ich diese Nahrung in der
fernöstlichen Philosophie.
Vor einiger Zeit dann geschahen drei Dinge: Meine Mutter starb und damit riss die letzte
Verbindung zu meinem Heimatdorf ab, ich verlor mehrere Menschen aus meinem Freundeskreis und ich
brach mir ein Bein so schwer, dass es fünf Mal operiert werden musste.
In dieser Zeit ging ich eines Sonntag abends auf Krücken zu meinem Kiosk in der Alteburger
Straße, um etwas zu kaufen. Da hörte ich leise die bescheidene Glocke von St. Maternus läuten.
Spontan humpelte ich dorthin, um die Messe zu besuchen. Von da an tat ich das regelmäßig, und ich
wurde ein engagierter Katholik. In der ersten Zeit hatte ich, wenn ich an der Messe teilnahm, das
Gefühl, als löse sich ein lange unterdrückter Schmerz der Heimatlosigkeit.
Doch auch die Weisheit des Ostens beschäftigte mich weiterhin. Ich begann mit Yoga, was meine
Heilung sehr unterstützte. Ich fand schnell heraus, dass Yoga starke religiöse Wurzeln hat und ein
komplexes philosophisches Blattwerk. Ursprünglich nämlich waren die Yogastellungen nichts anderes
als ein Mittel, die Hinwendung zu Gott körperlich auszudrücken. Der berühmte Sonnengruß z.B. wurde
früher nie ohne die dazugehörigen festgelegten Gebete geübt.
Ich habe ein sehr gutes Yogastudio gefunden und ich besuche es oft. Der Unterricht beginnt
manchmal mit Gesang, um an die religiösen Wurzeln des Yoga zu erinnern. Dabei wird gemeinsam das Om
gesungen oder auch ein anderer kurzer religiöser Text, der dann oft wiederholt wird.
Man singt natürlich auf Sanskrit, der Sprache des Yogas. Es ist eine alte indische Sprache, die
noch früher als bei uns das Latein aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwand und die heute fast
nur noch für religiöse Zwecke verwendet wird. Wir singen also. Und wir sitzen dabei auf dem Boden
vor einem Altar. Auf diesem Altar thront, in Form einer kunstvollen, antiken Schnitzerei eine
hinduistische Gottheit: Ganesha, der Elefantengott.
Das wurde mir zu viel! Ich wollte doch mit meinem Yoga zu meinem Gott beten und nicht zu
Ganesha! Ich wollte es doch als Christ mit meiner Glaubenspraxis verbinden und nicht mit einer
fernöstlichen! Und wenn schon tote Sprache, dann doch bitte Latein und nicht Sanskrit! Leider
konnte ich die Lehrer nicht davon überzeugen, auch einmal ein lateinisches Gebet aus dem Gotteslob
– etwa das Sanctus – zu singen. Doch ich setzte nach einigen Diskussionen durch, dass
man mir erlaubte, auf dem Altar vor Ganesha ein kleines Standkreuz mit Corpus
aufzustellen.
Zuerst habe ich es nur aufgestellt, wenn ich da war und es nachher wieder mitgenommen. Ich
musste auch jeden Lehrer einzeln vorher um Erlaubnis fragen. Irgendwann habe ich es dann einfach
stehen lassen. Es wurde zwar immer wieder abgeräumt und in eine Schublade gelegt, doch ich habe es
immer wieder hervor- geholt.
Eines Tages starb eine Schülerin, die dem Studio sehr verbunden war. Man stellte ein Bild von
ihr auf den Altar, und viele Lehrer gingen zu ihrer Beerdigung. Irgendetwas könnte da geschehen
sein, denn danach wurde mein Kreuz nie wieder abgeräumt. Haben die Yogalehrer vielleicht durch die
Begegnung mit dem Tod gespürt, dass auch sie noch christliche Wurzeln haben?