Schon immer im Licht
Christoph Schmitz, Journalist und Schriftsteller, engagiert in der Liturgiewerkstatt unserer
Gemeinde, schreibt über seine Erfahrungen mit dem Beten, mit dem frei formulierten Gebet und mit
den „alten Gebeten der Christenheit."
Das Beten ist etwas sehr Persönliches. Wenn man darüber spricht, schämt man sich schnell. Als
würde man jemandem etwas Intimes anvertrauen. Darum formuliere ich vermutlich so unpersönlich und
distanziert in der Form des „man": „man schämt sich". Aber ich schäme mich. Als würde
ich etwas verraten, was nur mich und IHN angeht. Ich schäme mich auch, weil so vieles gegen das
Beten spricht.
Der Verstand hat überzeugende Argumente gegen das Beten. Das Beten als Selbstgespräch. Das
Beten als Selbsttherapie. Das Beten als Schwäche. Als naives, kindliches Verhalten, kritiklos
übernommen von den Eltern, aus der Tradition. Nachgeplappertes Zeugs. Das alles stimmt. Einerseits.
Beten kann sogar noch schlimmer sein. Wenn es das notwendige Handeln verhindert.
Und dennoch bete ich. Andererseits. Ich spreche, meist in Gedanken, manchmal auch in Worten. Ich
spreche die alten Gebete der Christenheit. Das „Vater unser". Das „Ehre sei dem Vater".
Das „Amen". Und sehr gerne das „Sei unser Heil, oh Herr, wenn wir wachen und unser
Schutz, wenn wir schlafen. Damit wir wachen mit Christus und ruhen in seinem Frieden". Denn
„meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen
Retter".
Worte sind mächtig. Wie Gewitter im Sommer. Wie Donner am Tag. Wie Blitze in der Nacht. Sie
reißen den Himmel auf. Mächtige Worte, die gar nicht von mir stammen, die meine Erfindung nicht
sind. Die mir geschenkt wurden. Gebete sind Geschenke. Ich kann sie annehmen oder auch nicht. Sie
liegen da, wie Früchte in einer Schale. Nur dass sie nicht faulen. Sie schmecken nicht immer
gleich. Manchmal schmecken sie sogar fade, sauer oder zu süß. So süßlich oder bitter wie mein
verzweifelter Versuch, etwas über die Schönheit, das Erstaunliche, das Mächtige und Wundersame des
Betens zu sagen. Schamrot müsste man werden. Werde ich auch.
Denn ich weiß zu gut, wie frustrierend das Beten sein kann. Ein dumpfes Dahinplappern, ohne Sinn
und Verstand. Ohne Resonanz. Das Beten bekommt man nicht in den Griff. Es ist etwas Lebendiges. Es
umschleicht uns wie ein unsichtbares Tier. Verzieht sich. Verschwindet. Taucht wieder auf, umgarnt,
umschlingt uns, wie die Arme eines geliebten Menschen. Und wie ein Mensch will das Gebet gepflegt
werden. Regelmäßig über den Tag verteilt, wie Mahlzeiten, morgens, mittags, abends. Mit den Worten
aus der Überlieferung. Mit eigenen Worten.
Die althergebrachten Gebete haben den Vorteil, dass sie meist mehr enthalten, als ich spontan zu
sagen vermag. Sie sind besonders nährstoffreich. Haben alles, was das Leben braucht. Die bekannten
Gebete haben allerdings mitunter den Nachteil, dass sie einem schwer im Magen liegen und den Kopf
schläfrig machen. Spontan zu beten, frisch von der Leber weg, ist wie klares Wasser trinken, direkt
aus der Quelle. Garantierter Durstlöscher. Der aber nicht sättigt und dennoch nötig ist. Aber
gleich ob Wasser oder Butterbrot – beim Beten passiert es dann manchmal, dass gar nicht mehr
ich selbst es bin, der spricht und einen Wortraum schafft, sondern betend trete ich in einen Wort-
und Klangraum hinein, der vor meinem Sprechen schon da war.
Ich trete „ins aufstrahlende Licht aus der Höhe", wie es der alte Zacharias im Evangelium
von Lukas formuliert. Und eigentlich sind wir betend schon immer im Licht. Wir merken es nur so
selten. Vielleicht weil wir zu selten und zu unregelmäßig beten. Vielleicht weil wir selbst zu viel
reden beim Beten. Denn beten ist auch hören. Kein Lichtraum, sondern ein Raum der Stille. Aber auch
der muss entdeckt und erforscht werden. Höhlenforscher müssen sehr geduldig und immer unterwegs
sein, von morgens bis abends.
Christoph Schmitz liest am 13.11.2013, um 19.30 Uhr, in der Bücherei St. Severin
aus seinem Buch „Das Wiesenhaus".