Beten: sich öffnen für Gott
In allen Religionen dieser Erde ist Beten etwas ganz Selbstverständliches. Ein Gefühl für das Geheimnis der Wirklichkeit, ein Gefühl für das Unsagbare hinter dem erlebten Sein scheint Menschen von Beginn an zum Beten veranlasst zu haben. Beten scheint ganz wesentlich zum Menschsein dazuzugehören.
Diese von Gott verliehene grundsätzliche Fähigkeit des Menschen zum Beten ist ein besonderes
Privileg. Sie erlaubt Menschen, Gott ihre Anliegen nahezubringen. Menschen beten, weil sie Gott
daran erinnern wollen, Anteil an ihrem Leben zu nehmen. Beten ist somit seinem Wesen nach Ausdruck
der menschlichen Sehnsucht, immer in Gottes besonderer Aufmerksamkeit zu sein. (Abraham Heschel).
Nur sehr bedingt ist es richtig, das Beten in Analogie zu einem menschlichen Gespräch als
Zwiegespräch mit Gott zu sehen.
Menschen können nicht einfach von sich aus mit dem unvorstellbar großen Gott in einen Dialog eintreten. Menschen können sich nur für ihn ansprechbar machen, mit ihrem Gebet jene Offenheit schaffen, in der ihnen Gott begegnen kann. Daher heißt es im Psalm 63: „Du bist mein Gott, den ich suche". Beten bietet nicht die Gewähr, dass Gott spürbar, erlebbar wird. Beten ist und bleibt ein Verharren in Ungewissheit, ist auch ein Aushalten von Leere. Nimm man diese Begrenzung nicht ernst, wird das Gebet sehr schnell zu einem Warten auf jemanden, der nicht antwortet.
Beten ist seinem Wesen nach gelebte Beziehung zwischen Gott und Mensch, eine Beziehung, die von Gott ermöglicht wird, weil er den Menschen liebt und sucht. Wie bei Menschen, die füreinander von Bedeutung sind, so gibt es auch in der Gebets-Beziehung zwischen Gott und Mensch Erlebnisse von Nähe und Ferne, Momente von Beistand und Verlassenheit, Zeiten des Schweigens und Redens. Es gibt Zeiten, in denen er uns entgegenkommt, und Augenblicke, in denen er sein Antlitz vor uns verbirgt. Daher heißt es in Gebeten von Huub Ooosterhuis sowohl: „Herr, unser Herr, wie bist du zugegen und wie unsagbar nah bei uns", als auch „Du bist in allem ganz tief verborgen", also für Menschen nicht erreichbar, unendlich weit weg.
Menschen kennen drei Wege zum Gebet.
Der erste Weg führt über Leid, Kummer und Verzweiflung. Doch Leid, Kummer und Verzweiflung lehren den Menschen nicht beten, sie geben höchstens den Anstoß zum Beten. Sie bereiten den Boden für ein Gebet, indem sie vor Augen führen, dass menschliche Existenz zerbrechlich und nicht zu sichern ist, dass Menschen sich nicht selbst in ihrer Hand haben sondern angewiesen bleiben, dass Menschen sterblich (endlich) sind in ihrem Dasein.
Der zweite Weg ist das stetige, aus dem Glauben erwachsende Bemühen, die eigenen Gedanken für Gott zu öffnen. Nach Dorothee Sölle bedeutet Beten „sich zu sammeln, nachzudenken, Klarheit zu gewinnen, wohin wir eigentlich leben, was wir mit unserem Leben wollen; Wünsche zu haben für uns und unsere Kinder; die Wünsche laut und leise, zusammen und alleine zu äußern und darin immer mehr dem Menschen ähnlich zu werden, als der wir gemeint waren". Gebete sind nicht nur dann angesagt, wenn uns Hilflosigkeit umgibt, sondern sie geben uns auch die Kraft für das, was wir tun können.
Der dritte Weg ist das aus dem Staunen erwachsene Preisen Gottes als Dank, dass es diese Welt in ihrer Schönheit gibt, dass wir sein dürfen, dass es uns gibt als nicht Verwechselbare, nicht Austauschbare, dass wir von Gewicht und Bedeutung sind. Beten ist das preisende Aufzählen all dessen, was Gott für uns Menschen getan hat, ist ausgesprochene Erinnerung an sein Tun und an das, was mich mit Ihm verbindet. „Lobpreis ist unsere erste Antwort. Völlig unfähig zu sagen, was Seine Gegenwart bedeutet, können wir nur Worte der Anbetung stammeln" (Abraham Heschel).
Nach einer Aussage Jesu bei Lukas sprechen wir beim Beten nur dann nicht ins Leere, wenn wir Gott um den Heiligen Geist, also Gott um Gott bitten: „Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten". In seinem „Gott um Gott bitten" fasst Jesus alles das zusammen, was Beten seinem Wesen nach ist: uns für Gott ansprechbar machen, in uns jene Hörbereitschaft, jene Offenheit schaffen, in der uns Gott begegnen kann, Beten ist die einzige Möglichkeit, in die Gegenwart Gottes einzutreten.
Barthel Schröder, Diakon