Wird uns der Wandel des religiösen Lebens in den USA in wenigen Jahren erreichen –
wie so viele andere Entwicklungen, die sich mit einiger Verspätung in Europa zeigen? Diakon Dr.
Barthel Schröder stellt die Gedanken zweier Bücher vor, die diesen Wandel in den Blick nehmen (John
L. Allen „Das neue Gesicht der Kirche“ und Vincent J. Miller „Consuming
religion“) und regt an zum Nachdenken, was das für uns hier und jetzt bedeutet.
Viele gesellschaftliche Entwicklungen in den USA Jahre sind später auch in Europa in Erscheinung
getreten und haben sich durchgesetzt. Kein Lebensbereich ist davon ausgenommen, ob in der Musik
(z.B. Rock, Rap), bei der Esskultur (z.B. Fast Food), bei der Art des Wirtschaftens (z.B. die
Priorität des kurzfristigen Gewinns), bei Arbeitsbedingungen (z.B. temporäre Verträge,
Notwendigkeit zu Mehrfach-Jobs), beim Lobbyismus in der Politik oder bei den Finanzmärkten (z.B.
Leerverkäufe, Hedge-Fonds, „Heuschrecken“).
Die Gesellschaft der USA ist aktuell eine radikal pluralistische Konsumgesellschaft. Im
Mittelpunkt steht die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse durch den Konsum von Produkten oder
Dienstleistungen, wobei diese Bedürfnisse zum Teil erst durch eine aggressive Werbung erzeugt
werden. Was Menschen sich an Konsum leisten können, legt nicht nur die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe fest, sondern definiert auch die Person in erheblichem Maße. Diese
gesellschaftliche Ausrichtung auf die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse durch Konsum beeinflusst
nicht nur den Alltag, sondern gerade auch das religiöse Leben.
Jede einzelne Religion ist zu einer „Marke“ im Markt der religiösen Angebote
geworden. Vierzig Prozent aller US-Christen wechseln mindestens einmal in ihrem Leben die
Konfession. Gründe für diesen Wechsel sind auch bei Katholiken nicht Glaubensinhalte oder
moralische Vorschriften, sondern eine empfundene fehlende spirituelle Beheimatung.
Wie bei den übrigen Produkten findet auch beim Konsum von Religion eine individuelle Anpassung
statt. Aufgrund der mit der Pluralität verbundenen Gleichwertigkeit von Überzeugungen setzen sich
in den USA immer mehr Menschen daher ihren eigenen Glauben patchworkartig aus Elementen
unterschiedlicher Religionen zusammen. Umfragen zeigen, dass sich Menschen als Christ bekennen,
obwohl wesentliche christliche Glaubensinhalte negiert oder ersetzt werden, z. B. die
Wiederauferstehung von den Toten durch die buddhistische Vorstellung einer
Seelenwanderung.
Da mit dem Konsum immer auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gesehen wird,
hat das System der Pfarreien in den USA an Bedeutung verloren, man fühlt sich eher einer bestimmten
katholischen Gruppe zugehörig.
Die heutige Theologie hat die An- und Einsprüche der modernen Welt ernst genommen und
Glaubensinhalte neu interpretiert. Damit wurden aber die Konturen des Glaubens für viele Menschen
verschwommen und die Abgrenzungen zu anderen religiösen Überzeugungen unverständlich. Was
„katholisch“ ausmacht, wurde in der Öffentlichkeit der USA nur noch bedingt
sichtbar.
Die aktuell primäre Antwort der Kirche ist heute ein evangelikaler Katholizismus: in der Lehre
traditionell, in moralischen Fragen konservativ, bei einem buchstäblichen Bibelverständnis und
Betonung der eigenen Besonderheiten.
Eine zweite, immer mehr Anhänger findende Antwort ist ein pfingstlicher Katholizismus: ein
ausgeprägter Glaube an die Gaben des Heiligen Geistes, der vom eigenen Leben Besitz ergreift, ein
tiefes Vertrauen auf Gebetserhörungen, eine Betonung des religiösen Erlebnisses, ein Rechnen mit
direkten Offenbarungen Gottes und die Vertretung einer stark konservativen Moral. Gemeindebildung
und Gemeindeleben stützen sich auf die gläubigen Laien. Der gravierende Priestermangel führt in den
USA zu Seelsorgeeinheiten, die kein Gefühl der Beheimatung mehr aufkommen lassen, und unterstützt
damit unabsichtlich die Bildung solcher pfingstlicher Gemeinden in Laienhand.
Ob und, wenn ja, wie weit die Antworten der katholischen Kirche in den USA unsere Gemeinden
prägen werden, bleibt abzuwarten. Erste evangelikale Ansätze sind in der zunehmenden
Klerikalisierung und in neuen religiösen Bewegungen erkennbar.
Französisches Streiflicht
Beim Besuch der Pariser Kathedrale Notre Dame musste ich feststellen, dass an den Säulen des
Kirchenschiffes große Flachbildschirme angebracht worden sind, so dass die Gläubigen hautnah das
Geschehen im Altarraum verfolgen können. Die für die Übertragung benötigte Kamera ist auf der
Kanzel fest installiert. Die am Gottesdienst Teilnehmenden haben nun den gleichen Blick wie die
Zuschauer bei einer Fernsehübertragung aus der Kathedrale.
Statt Figuren oder Gemälden von Heiligen Flachbildschirme – ist das die Zukunft? Wird auf
diese Weise der Gottesdienst nicht vorrangig zu einem Event, bei dem es darauf ankommt, das
Geschehen optimal im Blick zu haben?
Barthel Schröder
„Die Kirche beantwortet Fragen, die die Menschen gar nicht haben, und auf deren
wirkliche Fragen gibt sie wenig hilfreiche Antworten.“ (Eugen Biser, Theologe)
„Die Zukunft der Kirche wird nicht im Kirchenraum entschieden, sondern an den
Gartentoren und Straßen unserer Gesellschaft“ (Joachim Wanke, Bischof von
Erfurt)
„Die Kirche brennt lichterloh, während wir die Inneneinrichtung
diskutieren.“ (Kardinal Walter Kasper)
„Wir müssen uns fragen, warum wir in der Institution Kirche immer weniger diesen
sicherlich vorhandenen Bedarf nach Spiritualität, nach Orientierung, nach Lebenssinn zu stillen
vermögen.“ (Papst Benedikt XVI in seiner Freiburger Rede)
„Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“ (Bischof Jacques
Gaillot)
"Der Pfarrbrief oder das Gemeindeblatt ist die wichtigste lokale Kontaktschiene auch zu den
sogenannten Kirchenfernen. ... Er muss als ein wichtiges Instrument der Seelsorge verstanden und
entsprechend professionell gestaltet werden.“ (Thomas von Mitschke-Collande)