... sittsam, bescheiden und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will
sein.
Ein Klassiker im Poesiealbum ist dieser Spruch, sagt zumindest das Internet. Ich (Jahrgang 1945)
gehöre zu der Generation, die in Kindertagen ein solches Poesiealbum besaß, und natürlich fehlte
auch dieser Spruch nicht. Und er betrifft (natürlich!) nur Mädchen.
Lange vorbei? Altbackenes Klischee der Vergangen-heit?
Frauen heute sind selbstbewusst und sicher, treten mit selbstverständlichem Stolz auf ihre
Kompetenzen in der Öffentlichkeit auf, melden sich offensiv mit ihrer Meinung und ihren Kenntnissen
zu Wort. In Beruf und Familie, in Welt und Kirche agieren sie auf Augenhöhe mit Männern. Ist das
so?
Ich erlebe – und das nicht nur, aber besonders oft – in Kirche Sätze wie diese:
„Ich bleibe gern im Hintergrund.“, „Nein, ich will mich nicht vordrängen.“
„Die Gesprächsführung in diesem Gremium? – Ach ich weiß nicht. ... Das kann doch sicher
jemand anders besser.“ Natürlich hat unsere Kirche eine männergeprägte und hierarchische
Struktur, und an vielen Stellen gibt es unüberwindbare Mauern. Da hilft offenbar auch die von mir
sehr geliebte Psalmweisheit
„Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ (Psalm 18, Vers 30) nicht. Unabhängig
davon geht es mir aber hier um weibliche Prägungen und die daraus resultierenden Verhaltensweisen,
mit denen eben diese Hierarchie bedient wird. Die innere Haltung, die der Poesiealbums-Spruch
repräsentiert, scheint „eingefleischter“ zu sein, als wir Frauen es wahrhaben wollen.
Diese Haltung ist nicht nur verinnerlicht, sondern leider auch passgenau in der oben beschriebenen
Struktur.
Wo gibt es zum Beispiel eine Frau, die den Posten des stellvertretenden Kirchenvorstehers (der
Pfarrer ist der sog. geborene erste Vorsitzende dieses Gremiums) innehat? Es gibt sie, aber nur
sehr vereinzelt. Wo ist die Frau, die aus ihrem täglichen Spagat zwischen Beruf und Familie
Selbstwertgefühl zieht statt der Angst, nicht zu genügen. Wo ist die Frau, die ihre Kompetenzen
offensiv präsentiert? Es gibt sie, aber nur sehr vereinzelt.
Der ironische Spruch „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau, die ihm den Rücken
freihält, und hinter jeder erfolgreichen Frau drei Männer, die sie zurückhalten.“ kann nach
meiner Erfahrung variiert werden, denn es können auch Frauen sein, die „zurückhalten“.
Ich vermisse manchmal schmerzlich die ermutigende Solidarität unter Frauen. Ich sehe nicht nur
Entwicklungsbedarf, sondern auch Entwicklungsmöglichkeit selbst im Rahmen der bestehenden
Bedingungen. Ermutigend erscheint mir dabei der Nelson Mandela zugeschriebene Text (s. unten). Er
wendet sich zwar nicht eigens an Frauen, aber die hier so eindrucksvoll beschriebene Seelenlage
scheint mir besonders gut zur Frau in der Kirche zu passen.
Und – vielleicht setze ich doch auf die Psalmworte
„Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ oder
„Du schaffst meinen Schritten weiten Raum.“ (Psalm 18, Verse 30 und
37)
Und – wie viele Kirchenmänner wären wohl an ihr Amt geraten, wenn sie ein Poesiealbum
gehabt hätten und sich konsequent an den Spruch mit dem Veilchen gehalten hätten?
Ingrid Rasch
Unsere größte Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind. Unsere größte Angst ist, dass wir
unermesslich stark sind. Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit. Wir fragen
uns, wer bin ich denn, dass ich brilliant, großartig, talentiert und begnadet sein kann?
Ja, wer bist Du eigentlich, dass Du es nicht sein dürftest?
Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen dient der Welt nicht. Es bringt nichts, sich
ständig zurückzunehmen, nur damit sich andere in Deiner Nähe nicht unsicher fühlen. Wir sind
geboren, um der Herrlichkeit Gottes, die in uns ist, Ausdruck zu verleihen. Sie ist nicht nur in
manchen von uns, sie ist in jedem einzelnen.
Und wenn wir unser Licht leuchten lassen, ermutigen wir andere Menschen dazu, dasselbe zu tun.
Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, dann befreit unsere pure Gegenwart auch
andere.