Diese Lebensweisheit aus dem Buch der Sprüche (Kapitel 19,Vers 22) fiel mir ein, als ich das
Thema „Verlust und Gewinn“ für diese Ausgabe unseres Pfarrbriefes erfuhr.
Mit bis heute bedrückender Aktualität wird ein menschliches Streben benannt, das auf
(materiellen) Gewinn aus ist, der zum einen ohne Verluste für andere gar nicht erzielt werden kann.
Zum anderen sieht der Weisheitslehrer in diesem Streben nach Gewinn auch die Gefahr grundgelegt,
dass am Ende eine unersättliche Gier steht, die Betrug (und manchmal auch Schlimmeres) nicht
scheut.
Darum mahnt Jesus in der vom Evangelisten Matthäus überlieferten Bergpredigt: „Sammelt
euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und
sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und
keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“
(Kapitel 6,Verse 19-21)
Noch einen Schritt weiter geht Jesus in seiner „paradoxen Durchkreuzung“ von allem
äußeren Gewinnstreben: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um
meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ (Matthäusevangelium Kapitel 10, Vers 39) Was meint
Jesus damit? Ich denke: Wer immer nur gewinnen will, verliert: Freunde, Freude, den Blick für die
Realitäten, wichtige menschliche Fähigkeiten wie Nachsicht, Barmherzigkeit,
Versöhnungsbereitschaft…
Wer immer nur gewinnen will, sich festklammert an dem, was er/sie hat, nicht teilen kann, nicht
bereit ist abzugeben, verliert am Ende – sich selber.
Wer nie die Erfahrung von Verlust und (schmerzhaftem) Abschied durchlebt und betrauert hat, wie
sollen sich dem die Augen öffnen für neue Chancen, neue Begegnungen, bereichernde
Erfahrungen?
Wer nicht bereit ist, zu „verlieren“, d.h. zu verzichten auf Zeit und Geld, auf
Anerkennung und Ansehen, um all das mit anderen zu teilen, wird nie die wohltuende Erfahrung machen
können: Du bist ein Gewinn für mein Leben, Du machst mein Leben reich und wertvoll, Du schenkst mir
so viel zurück…
Immer dann, wenn Menschen im Namen Gottes solidarisch mit- und füreinander leben, ist dies
selbst in Erfahrungen von Verlust und Abschied ein Gewinn; dann ist geteiltes Leid halbes Leid und
geteilte Freude wird zu doppelter Freude.
Dann werden wir unseres Lebens froh – und was könnte Gott mehr für uns wollen?
Ihr und Euer Pastor Johannes Quirl