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Ein Land ohne Sonntag

Einkaufscenter in China
Foto: privat Einkaufscenter in China Foto: privat

Diakon Dr. Barthel Schröder hat drei Jahre in China gelebt und gearbeitet – hier seine Erfahrungen in einem Land, das keinen Sonntag kennt.

 

China kennt keinen Sonntag. Jeder Tag ist gleich, mit Arbeits- und Öffnungszeiten rund um die Uhr. Formal gilt die 40-Stunden-Woche. Und die freien Tage, die unserem Wochenende entsprechen, können als „days off“ (freie Tage) dann genommen werden, wenn es dem Arbeitgeber gerade passt.

 

Wie sieht eine Gesellschaft aus, die keinen Sonntag kennt? Ich durfte dies drei Jahre lang in Peking erleben.

 

Da es nur sehr selten gelingt, die „days off“, sofern sie gewährt werden, für alle Familienmitglieder oder auch für einen Freundeskreis auf die gleichen Tage zu legen, ist für Chinesen eine Kommunikation außerhalb der Arbeit sehr schwierig. Wenn westliche Firmen den Sonntag halten, bleiben die „Langnasen“, wie die Westler scherzhaft genannt werden, daher am Wochenende weitgehend unter sich. Die Chinesen selber gehen an ihren freien Tagen in die Kaufhäuser, in die unzähligen Shopping Malls oder auf die Märkte, um zu schauen und/oder entsprechend den eigenen finanziellen Möglichkeiten einzukaufen.

 

Ein Land ohne Sonntag orientiert sich am Konsum.

 

Da Konsum Geld verlangt, das in China bei vielen Menschen nicht oder nur begrenzt vorhanden ist, droht an den freien Tagen Langeweile, denn nur „sehen“ befriedigt selten. Um dieser Langeweile und auch dem Frust, selbst nicht konsumieren zu können, zu entgehen, geht ein großer Teil der Menschen dann doch lieber weiter zur Arbeit. Dies ist zum einen finanziell sehr lukrativ. Reich zu werden, ist zudem durchgängig das primäre Lebensziel. „Heute sind erst wenige reich, morgen werdet ihr es alle sein“, ist ein Regierungsslogan, um sozialen Unruhen vorzubeugen.

 

Ein Land ohne Sonntag kennt wenig Ruhe, dafür umso mehr Arbeit um des Geldes willen. Wo Geld und Konsum das Sagen haben, da spielt der einzelne Mensch keine Rolle.

 

Ausgebeutet und ausgemergelt sitzen Millionen von Wanderarbeitern, die die Hochhäuser in den Metropolen in 12-Stunden-Schichten hochziehen, auf ihren Sicherheits­helmen und löffeln ihren Reis mit Gemüse häufig als einzige Nahrung des Tages aus ihrem Kochgeschirr. Schlecht bezahlt, häufig monatelang auf ihr Geld wartend, das sie zu ihren Familien auf dem Lande schicken, kennen sie keine freien Tage, allen Gesetzen zum Trotz.

Da lob ich mir doch unseren Gott: „Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat“. Keinen Sonntag zu haben entspricht nicht dem Menschen. In China habe ich es erfahren.

 

Ich habe oft an die Worte des jüdischen Theologen Abraham J. Heschel denken müssen: „Den Sabbat (Sonntag) feiern bedeutet, unsere letzte Unabhängigkeit von Zivilisation und Gesellschaft zu erfahren, von Leistung und Angst. Der Sabbat (Sonntag) ist eine Verkörperung des Glaubens, dass alle Menschen gleich sind und dass die Gleichheit der Menschen ihren Adel ausmacht. Die größte Sünde des Menschen ist es, zu vergessen, dass er ein Königskind ist“. Der Sonntag ist Zeichen, dass wir Töchter und Söhne des Ewigen sind und nicht Töchter und Söhne des Geldes oder Marktes. Für diese Erfahrung bin ich China dankbar.

 

Übrigens: Entwickelt sich der Konsum nicht in der von der Regierung erwarteten Weise, weil zu viel gearbeitet wird, dann werden regelrechte Einkaufstage von oben her verordnet, dann ruht landesweit die Arbeit, damit eingekauft werden kann.


Barthel Schröder

 
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