Kirchgang am Sonntag war Pflicht, sagt Annelise H.
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Wie wurde der Sonntag früher gestaltet? Im Gespräch mit Claudia P. von der Pfarrbriefredaktion
erinnert sich die 90jährige Annelise H. an vergangene Zeiten.
„Es gab noch keine Vorabendmessen“, fällt Annelise H. als Erstes ein auf die Frage, was früher
sonntags anders war. Man ging selbstverständlich zur Kirche, und sie erinnert sich, dass sie
jungverheiratet einmal mit ihrem Mann an einem besonderen Sonntagsausflug teilnehmen wollte. Da
habe sie sich eine Dispens vom Pfarrer geben lassen.
Für die Seniorin war der Sonntag von Kindheit an ohne Kirchgang unvorstellbar. Sie erzählt, wie
stolz sie war, in der Kindermesse ihrer Pfarre St. Michael im Belgischen Viertel zum ersten Mal
vorbeten zu dürfen. Sie erinnert sich, als wäre es gestern gewesen, an die peinliche Situation, als
sie zum Kreuzeichen statt „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen“ die
Worte „Eins, zwei, drei, vier“ sagte. Noch heute spürt sie am Arm den harten Griff ihrer Lehrerin
nach diesem Fehler.
Als junges Mädchen flanierte sie mit ihren Freundinnen am Sonntag nach der Messe den
Hohenzollernring herauf und herunter – bis zum Mittagessen. Dann musste man zu Hause sein, denn das
Mittagessen hatte einen hohen Stellenwert in ihrer Familie. Am Nachmittag wurden Familienausflüge
gemacht, z.B. nach Bensberg oder in den Königsforst.
Später verbrachte sie ihre Sonntage mehr und mehr in der Jungfrauenkongregation*. Die jungen
Mädchen vergnügten sich in dieser Gruppe mit Wanderungen und Volkstänzen. „Der Pfarrer und die
beiden Kapläne waren keine „Hochwürden“ für uns, wir hatten ein kameradschaftliches Verhältnis“,
weiß Annelise H. zu berichten
Mit ihrem Mann zog sie später in die Südstadt und gehörte dann zur Pfarrei St. Paul. Sie wird
nie vergessen, wie sehr ihr der dortige Kaplan einmal geholfen hat. 1955 war das – ihr Mann war auf
dem Weg nach Hause nachts mit seiner Lambretta (Motorroller) verunglückt und lag nun im Krankenhaus
nahe St. Kunibert. In ihrer Not klingelte Anneliese H. am Pfarrhaus, und der Kaplan begleitete sie
zum Krankenhaus. „Heute würde ich nicht mehr so selbstverständlich in einem Pfarrhaus Hilfe
suchen,“ meint sie.
Der Sonntag ist für die alte Dame auch jetzt noch ein besonderer Tag. Sie versteht aber, dass
heute viele Berufstätige sonntags wenig Muße haben, weil sie liegengebliebene Arbeiten im Haushalt
erledigen müssen. Verkaufsoffene Sonntage lehnt sie ab. Nur den „Längsten Desch“ nimmt sie aus,
denn „der ist doch schon eine Tradition!“
*Die Jungfrauenkongregationen und die Jünglingsvereine waren die weiblichen bzw. männlichen
Vorläufer der heutigen katholischen Jugendverbände.