Dr. Thorsten Fröhlich im Gespräch mit Thomas Sökefeld
©Silvia Bins
Sonntags einkaufen? Auch das ist möglich. Die Redaktion sprach mit einem Vertreter unserer
Pfarrgemeinde und einem Geschäftsmann aus dem Viertel über die Besonderheiten und Auswirkungen des
verkaufsoffenen Sonntags:
Thomas Sökefeld, 48, Mitglied des Pfarrgemeinderates und Sozialarbeiter im Johanneshaus,
einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe in der Annostraße. Teilweise hat er auch sonntags
Dienst.
Dr. Thorsten Fröhlich, 46, Einzelhändler auf der Severinstraße, seit zwei Jahren im Vorstand
der Interessengemeinschaft Severinsviertel (IGS) und seit 2009 deren
Vorsitzender.
Was bedeutet „verkaufsoffener Sonntag auf der Severinstraße“ ?
Thorsten Fröhlich: Drei Mal im Jahr dürfen die Geschäfte sonntags öffnen, zum Beispiel
beim „Längsten Desch“. Dann werden auf der Severinstraße Verkaufsstände aufgebaut und
dieser Sonntag als ein richtiges Event gefeiert. Gerade sonntagnachmittags kommen ganze
Familien.
Welche Erfahrung machen Sie selbst mit Arbeit am Sonntag?
Thomas Sökefeld: Wenn ich sonntags arbeite, habe ich montags einen Ausgleichstag. Damit
wird der „Montag“ zum „Sonntag“. Am Anfang fand ich das noch ganz toll,
aber dann habe ich gemerkt, dass es schädlich für die Familie ist: Man kann auf einmal nicht mehr
am Familienleben teilhaben oder an Familienfeiern, denn die anderen sind ja unter der Woche
beschäftigt und man trifft sich dann am Wochenende.
Thorsten Fröhlich: Sonntags stehe ich selbst im Geschäft; jetzt beim „Längsten
Desch“ gemeinsam mit meiner Frau, meiner Tochter und einem Angestellten – da ist man
dann als Familie gemeinsam eingebunden.
Was ist denn sonntags anders?
Thomas Sökefeld: Sonntags darf man „sein“, Mensch sein. Die Unterbrechung des
Alltags ist wichtig. Dann zählt nicht, was man hat, sondern man darf „sein“. Außerdem
muss man die Zeit auf einmal selbst gestalten, weil nichts vorgegeben ist.
Thorsten Fröhlich: Naja, der verkaufsoffene Sonntag ist doch die Fortführung einer alten
Tradition. Früher gab es Kirchweih, Basare, Kirmes; da wurden auch Sachen verkauft. Heute ist der
verkaufsoffene Sonntag auch ein Event, wie damals Kirchweih auch.
Thomas Sökefeld: Das ist doch eine Verniedlichung! Beim verkaufsoffenen Sonntag geht es
doch um ökonomischen Druck. Für mich stellt sich die Frage, wie wir wirtschaften wollen und ob wir
uns diesem Druck aussetzen möchten.
Thorsten Fröhlich: Da gebe ich Ihnen recht. Oft wird argumentiert, dass wir solche
Angebote machen müssen, weil es in anderen Ländern auch so gemacht wird, aber dabei wird übersehen,
dass wir unsere eigene Kultur haben. Bei drei verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr sehe ich allerdings
noch nicht die Gefahr, dass der Sonntag als Ruhetag aufgeweicht wird.
Ist der verkaufsoffene Sonntag für alle ein Gewinn? Oder gibt es auch Verlierer?
Thorsten Fröhlich: Aus der Erfahrung der IGS kann ich sagen: Der verkaufsoffene Sonntag
ist der umsatzstärkste Tag der Woche, und manche Einzelhändler können davon drei Monate leben. Ohne
diesen Umsatz könnten sie langfristig ihr Geschäft nicht halten.
Thomas Sökefeld: Verlierer gibt es auch! Das ist der einzelne Angestellte, die betroffenen
Familien und auch die Freunde – die sozialen Kontakte, denn dafür hat man dann keine Zeit
mehr, zumindest keine gemeinsame Zeit. Jeder hat dann andere freie Tage.
Im Grundgesetz Artikel 140, Artikel 139 der Weimarer Verfassung steht „Der Sonntag
[...] [bleibt] als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“
– gilt das heute nicht mehr? Sollte man diesen Artikel abschaffen?
Thorsten Fröhlich: Nein, ein Ruhetag ist wichtig, die Fünftagewoche ist genau richtig.
Allerdings muss man auch sehen, dass Menschen unterschiedliche Vorlieben haben und sich nicht
vorschreiben lassen wollen, wann ihr Ruhetag ist. Hier im Viertel arbeiten auch Menschen, die es
lieben, ihren freien Tag unter der Woche zu haben. Ich finde, diese Freiheit muss man dem Einzelnen
lassen.
Thomas Sökefeld: Das ist ja schön und gut. Aber nur, wenn der Sonntag etwas Besonderes
bleibt. Der Sonntag als Ruhetag ist für uns ein kultureller Wert, den es zu schützen gilt.
Thorsten Fröhlich: Das ist richtig. Es kann mir auch keiner erzählen, dass ein
abgeschaffter Feiertag oder Sonntag ein ganzes Unternehmen rettet – da ist dann doch das
Management ausschlaggebend.
Welche Rolle kann Kirche beim Schutz des Sonntags einnehmen?
Thorsten Fröhlich: Sie sollte jedenfalls nicht laut fordern, sondern intelligente Angebote
machen, für eine sinnvolle Zeitgestaltung. Sie könnte den Kontrast zeigen. Laute Forderungen rufen
doch nur Gegenforderungen hervor. Ich denke, es ist erfolgversprechender, wenn die katholische
Kirche nicht laut fordert, sondern handelt, d.h. wenn sie Angebote für eine sinnvolle
Sonntagsgestaltung macht und sich Kooperationspartner sucht, die dasselbe Ziel haben: So kann man
etwas ändern.
Thomas Sökefeld: Aber auch der Einzelne müsste vorleben, wie man den Sonntag sinnvoll
gestalten kann. Wie gestalte ich denn persönlich meinen Sonntag? Da kommt dann vielleicht auch der
eigene Schweinehund zum Tragen und ich mache mir nicht die Mühe, den Sonntag anders zu verbringen
als einen Arbeitstag ...
Thorsten Fröhlich: Ohne Sonntag wäre jeder Tag ein Werktag.
Thomas Sökefeld: Ohne Sonntag wären wir ärmer.
Info
Die Interessengemeinschaft Severinsviertel (IGS) fördert den Handel im Stadtviertel, um ein
vielfältiges Angebot zu bewahren. Während des Baus der Nord-Süd-U-Bahn hat sich die IGS außerdem
zur Aufgabe gemacht, die Folgen der Baumaßnahmen abzumildern und die Geschäftsleute und Anwohner zu
unterstützen.