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Meine Pilgerreise

Bevor ich losfahre

Im Jahr 2014 habe ich schon einmal eine Radwallfahrt gemacht. Mein Ziel war damals Santiago des Compostella. Es war für mich eine ungeheuer beeindruckende Fahrt mit vielen, tiefen Erlebnissen, die mich bis heute begleiten.

Schon ziemlich bald nach meiner Rückkehr tauchte die Frage in mir auf: „Und jetzt? Was machst du jetzt?“

In der katholischen Tradition gibt es drei Hauptziele für eine Pilgerreise: Santiago, Rom und – Jerusalem.

Jerusalem – ja, das wäre toll… ABER: Schaffe ich das überhaupt? Wann mache ich das? Bin ich nicht langsam zu alt für solche Abenteuer?

Aber richtig los ließ mich der Gedanke nicht mehr. Und als langsam der Entschluss in mir reifte, mit 63 Jahren in Rente zu gehen, da wurde er wieder ganz konkret. Ich nahm Kontakt zu Walter Dünner auf, der im Jahr 2000 diese Reise schon gewagt hatte. Er erzählte mir viel, gab mir sein Buch zu lesen und machte mir Mut!

Im Internet stieß ich auf den Verein „Jerusalem Way“, einer österreichischen Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Jerusalem Wallfahrt wiederzubeleben. (www.jerusalemway.org) Dort gab es schon ausgearbeitete Pilgerrouten und auch sonst viele Hilfestellungen für die Planung. 

Und es fing an zu kribbeln… Jerusalem! Ich bin schon einmal mit dem Flugzeug dagewesen. Und das Land hatte mich fasziniert: Die meditative Beschaulichkeit am See Genezareth und die quirlige Altstadt von Jerusalem hatten es mir nicht nur kunstgeschichtlich angetan, sondern auch einen tiefen geistlichen Eindruck hinterlassen.

Als nächstes stand die Planung des Weges an: Ich wollte auch Assisi und Rom in meine Reise einschließen. Assisi deshalb, weil mich kaum ein Mensch aus der Christentumsgeschichte so anspricht wie Franziskus und weil meine Frau und ich Mitglied einer franziskanischen Gruppe sind.

Und Rom deshalb, weil es auf dem Weg liegt und ich so „zwei Fliegen (=Wallfahrtsziele) mit einer Klappe schlagen“ konnte.

Und so soll meine Route aussehen: Ich starte am 22. September 2020 in Straßburg, fahre den Rhein entlang über Basel, Konstanz und Chur, folge dann dem Hinterrhein bis Splügen, überquere dort den Alpenkamm und weiter soll es entlang dem Comer See, dem Fluss Adda und dem Po bis Cremona gehen und von dort über Modena nach Florenz und Assisi. Dort will ich einige Tage bleiben und dann nach Rom weiterradeln.

Von der Ewigen Stadt aus geht es über Neapel weiter nach Bari. Dort nehme ich die Fähre nach Igoumenitsa in Griechenland, von wo es über das Gebirge nach Thessaloniki geht.

Von dort geht es für vier Tage in die Mönchsrepublik Athos und dann weiter in Richtung Türkei. Izmir, Konia, Mensin, Tarsus und Iskenderum werden dort meine Stationen sein. Die dortige Grenze zu Syrien werde ich nicht überschreiten. Das ist mir dann doch zu gefährlich. Entweder finde ich ein Schiff, das mich bin Haifa mitnimmt, oder ich fliege von dort nach Amman in Jordanien, wo ich meine Reise fortsetze, um über den Jordan nach Israel zu gelangen. Mein Ziel ist, Weihnachten in Bethlehem zu feiern. Je nachdem, wie ich vorankomme, fahre ich vorher oder nachher noch durch Israel an den See Genezareth und nach Jerusalem.

Schaffe ich das? Reicht die Kraft? Macht mir Corona einen Strich durch die Rechnung? Bleibe ich gesund? – Das sind offene Fragen. Auf jeden Fall fahre ich los und schaue, wie weit ich komme…

Was verspreche ich mir von dieser Reise? Ich gehe jetzt in den Ruhestand – und damit in meine letzte Lebensphase. Diesen Übergang will mit meiner Pilgerfahrt begehen.

Mich hat an vielen Stellen in meinem Leben der Satz Gottes an Abraham begleitet: „Geh in ein Land, das ich dir zeigen werde!“ (Genesis 12,1) Vielleicht zeigt er mir ja mehr als den Weg, vielleicht sogar sich selbst….

Im Emmaus-Evangelium (Lukas,25) gesellt sich der Auferstandene als Unbekannter zu seinen Jüngern. Ich bin gespannt, wen ich treffe und wer mich „trifft“ (im wörtlichen und im übertragenen Sinne).

Ich habe ein Ziel, das ich aufgrund meines Alters jetzt stärker in den Blick nehme: Das Ende meines Lebens. Und anschließend – so hoffe ich - wartet der Himmel, oder wie die Bibel es ausdrückt: Das himmlische Jerusalem. Manchmal beginnt man ja das Himmlische im Irdischen zu ahnen… Ich bin gespannt.

Ich freue mich auf das Ziel, aber wenigstens genau so auf das Unterwegssein dorthin: Auf die Menschen, die ich treffe, die Herausforderungen, die ich zu bestehen habe, die Kulturen, die ich kennenlernen werde, die unterschiedlichen Landschaften, durch die ich komme. 

Ich freue mich wie ein kleines Kind auf diese Zeit und bin neugierig auf das, was auf mich zukommt.

Ach ja, und bevor ich losfahre, mache ich mein Testament. Das ist alte Pilgertradition…

Overath, 2. September 2020

Clemens Rieger