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Abschiedsbrief Schwester Franziska

Gedanken zum Thema "Vergebung", Schlussrunde eines Filmgesprächs zu "Troubled water" (Norwegen 2008)

- "Vergeben können nur die Opfer."

- "Vergebung gibt es nur ohne Wenn und Aber."

- "Gott ergänzt dort, wo sonst Vergebung nicht möglich ist."

- "Vergebung muss praktisch gelebt werden."

- "Neu-Anfang ist möglich, verläuft aber nie geradlinig."

- "Vergib dir selbst; dann kannst du auch besser anderen vergeben!"

- "Nur Versöhnung bringt's!"

- "Vergeben heisst Vergessen im Vertrauen auf Gott."


(Zusammengestellt im Rahmen der Einkehrtage von "Gubbio" in Kloster Maria Laach im März 2013)

Hallo Gott

Hallo Gott,
ich muss Dir mal was sagen.
Hoffe, ich nerve Dich nicht zu sehr! Vielleicht denkst Du ja gerade, was will die denn schon wieder?
Keine Sorge, will Dich nicht mit wohlformulierten, frommen Kirchendeutsch oder endlosen Bitten bzw. Danklitaneien aufhalten.
Will Dir halt nur mal was sagen. Ich muss mal was loswerden: Du bist verrückt!!!
Und nicht nur so eine bisschen sondern ganz heftig, na ja eben durchgeknallt!!!
Als Du uns Menschen erschaffen hast, warst Du wirklich verrückt. Du hast uns nach Deinem Ebenbild geschaffen und voller Liebe
alle positiven Entwicklungsmöglichkeiten in uns hinein gelegt. Man braucht ja nur mal sehen, wie viel Entwicklung wir seit
Ötzis Zeiten durchgemacht haben. Ist doch irre, oder? So weit so gut.

Du warst allerdings so verrückt, dass Du uns die Möglichkeit gegeben hast, „Nein“ zu sagen zu Dir und Deiner Liebe
und Deiner Vorstellung, dass wir uns als Deine Ebenbilder entwickeln würden. In Deiner naiven Liebe zu uns hast Du Dir sicher
nicht im Entferntesten ausgemalt, zu was wir in unserm Macht- und Gewinnstreben einstmals fähig sein würden.

Um diesem sich schon am Anfang schnell entwickelten Wahnsinn entgegen zu wirken, hast Du  vor tausenden von Jahren
Männer geschickt, die uns Deine Schöpfung, mit mehr oder weniger Erfolg auf den guten Weg zurückbringen sollten.
Einem dieser Männer, die wir Propheten nennen, hast Du gesagt, dass Du einen jeden von uns in Deine Hand geschrieben hast
– also auch meinen Namen in Deine Hand?  Wenn das nicht verrückt ist!

Wie Du wohl gut weißt, wurde damals in der Antike  jedem Sklaven das Zeichen seines jeweiligen Herren in die Haut eingebrannt.
Und Du machst das doch wahrhaftig freiwillig mit unserem Namen, brennst diese in Deine Hand ein! Damit machst Du Dich aus
eigenem Antrieb zu unserm Sklaven, mit dem man machen kann was man will!

Krass! Gott - mein Sklave!!!

Gut, dass das nicht allzu viele wissen, sonst würden sie ja mit Dir machen, was sie wollen. Obwohl, das machen sie sowieso
schon. Okay, ich will nicht verschweigen, dass  es Menschen gibt, die fromm und friedlich nach Deinen Gesetzen leben. Damit meine
ich nicht nur die Langweiler. Aber, es gibt eben auch genügend andere.

Wobei, Schuld hast Du selber! Wie konntest Du uns nur so viel Freiheit geben? Wenn das nicht verrückt war.
Und dann erst die Sache mit Deinem Sohn. Wie konntest Du nur so tief sinken, dass Du Deinen eigenen Sohn schicktest
und meintest, Er wird´s schon richten. Hattest Du es denn noch immer nicht in Deiner Allwissenheit begriffen, wie wir hier ticken?
Als Jesu Mission zu scheitern drohte, hast Du diese nicht abgeblasen, sondern bist mit Ihm in Deinem Liebeswahn
mit ans Kreuz gegangen. 
Dafür finde ich keine Worte. Voll daneben, oder?!

So weit wäre es allerdings in der heutigen Zeit gar nicht erst gekommen. Wir hätten Dich schon vorher in Merheim
auf die Geschlossene gesteckt! Sei froh, dass das Ganze sich damals abgespielt hat.

Allerdings hast Du das Versprechen wahr gemacht, dass Dein Sohn uns gegeben hat, bei uns, bei mir zu bleiben. Selbst, als ich alles
verloren hatte und hier auf der Straße gelandet bin, warst Du da. Eigentlich finde ich Dich erst jetzt, wo ich sonst nichts mehr habe.

Aber, ich habe Dich, meinen Sklaven – unvorstellbar-, und Dein Sohn war doch auch auf der Straße, irgendwie obdachlos.
Ist doch der Hammer: Ich bin ganz unten, von allen verlassen und schief angesehen und Du Gott bleibst bei mir als mein Sklave!
Geil, oder? Umwerfend!!!

Warum? Warum machst Du das? Liegt Dir wirklich was an mir? Bist Du so verrückt, verrückt aus Liebe nach mir?
Du bist echt krass!

Amen.

P.S.: Übrigens, Gott, Du färbst, Du färbst ab!

        Ich liebe Dich nämlich auch!!!

        Tschö

(Zu Jesaja Kapitel 49, 14 - 16)

Meinem Gott von ganz unten

Gott, wenn Menschen mir das Flaschensammeln verbieten,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich in der Stunde nur 50 Cent verdient habe,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich das wenige Geld dann auch noch verliere,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich den Sinn meines Tuns auf einmal in Frage stelle,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich trotz Öffnungszeit der Kleiderkammer weggeschickt werde,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich von kirchlichen Vertretern nur als Almosenempfänger behandelt werde,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich die Essensausgabe nur als Abspeisen erlebe,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn Menschen mich von oben herab behandeln, nur weil ich um ein Glas Wasser bitte,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn mir Seife und Toilettenpapier vorenthalten werden, weil ich von der Strasse komme,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich vor Wut über solche Art von christlicher Nächstenliebe koche,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich umsonst um ein Stück Brot bitte,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich nach einer Nacht am Bahnhof vor Müdigkeit kaum noch denken kann,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn unfreundliche Bahnbeamte mich aus dem Schlaf klopfen,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn die angebotene Suppe nicht nur kalt, sondern dazu noch sauer ist,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld
Gott, wenn ich aus der Kirche geschickt werde, weil man erst den Pfarrer fragen muss, ob man dort beten darf,
- schenke mir Freundlichkeit und Geduld

Gott, wenn ich mir beim Flaschensammeln klein und minderwertig vorkomme,
- richte Du mich auf!
Gott, wenn ich resigniere, weil ich beim Betteln keinen Erfolg habe,
- richte Du mich auf!
Gott, wenn ich auf der Suche nach einem Nachtquartier vor verschlossenen Türen stehe,
- richte Du mich auf!
Gott, wenn mich das Elend und die Ausweglosigkeit meiner Brüder und Schwestern bedrückt,
- richte Du mich auf!
Gott, wenn ich Angst habe vor der Ungewissheit, wo ich die Nacht verbringen werde,
- richte Du mich auf!
Gott, wenn ich plötzlich nicht mehr weiß, ob ich noch auf Deinem Weg bin,
- richte Du mich auf!

Gott, der Du mir im Kondensstreifenkreuz am Himmel seine Nähe zusagt,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir in seinen Schriften den Weg weist,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir überraschend im Altarsakrament begegnest,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir durch einen Inder das nötige Glas Wasser reichst,
- ich bete Dich an
Gott, der sich vor mir versteckt und der sich von mir suchen lässt,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mich auf meiner Suche begleitest und liebevoll führst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mich seinen Frieden kosten lässt,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir immer wieder in freundlichen Menschen begegnest,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mich die Einheit mit Deiner ganzen Schöpfung erfahren lässt,
- ich bete Dich an
Gott, der Du meinen Terminkalender in den Händen hältst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du Deinen Engel schickst, der mich zum Nachtquartier begleitet,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir nicht in den Kirchen begegnen wolltest,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir Ansehen verleihst, wenn andere mich übersehen,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir alles zur rechten Zeit schenkst, was ich zum Leben brauche,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mich befähigst, von dem wenigen das ich habe auch noch abzugeben,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir durch einen Schlager aus dem Radio Deine Liebe zusicherst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir unzählige Schwestern und Brüder auf der Strasse geschenkt hast,
- ich bete Dich an
Gott, der Du in mir selber wohnst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mich vor Deiner Anwesenheit singen und tanzen lässt,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mit immer neuen Ideen meinen Hunger und Durst stillst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir jeden Tag kleine und große überraschende Freuden bereithältst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir auch die kleinen Wünsche erfüllst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mit mir im Notquartier meine Isomatte teilen möchtest,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir zu Füßen liegst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mit mir durch verschlossene Türen gehst,
- ich bete Dich an
Gott, der Du mir in Internetcafe und bei Mc Donalds begegnest,
- ich bete Dich an
Gott, die ganze Welt ist so voll von Dir,
- ich bete Dich an

 

Deine dankbare Regina

Nicht umsonst

Sie kommt immer dienstags. Da ist vormittags an der Klosterpforte Lebensmittelausgabe für Bedürftige. Um zehn Uhr geht es los. Aber viele kommen schon zwischen 8 und 9 Uhr. Sie treffen sich, sie kennen sich, sie reden miteinander. Ursula P. ist eine von ihnen, sie wohnt nur eine Straße weiter, Nachbarschaft also. 61 Jahre ist sie jetzt alt, 50 % behindert steht in ihren Papieren. Bis vor wenigen Jahren hat sie in einem Kölner Kaufhaus in der Küche gearbeitet. Inzwischen ist sie arbeitslos.

Ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben. Ich finde sie erstaunlich in ihrer Art, Welt und Leben zu sehen und zu reflektieren. Sie ist aufmerksam und liebevoll zu den andern, irgendwie zuvorkommend im wörtlichen Sinn mitten im Getümmel oder mitten in der Reihe. Aber sie denkt nicht nur nach, reflektiert nicht nur, sie malt auch. Und eines Tages hat sie begonnen, uns Bilder mitzubringen und zu schenken. Mittlerweile habe ich schon einige, konturstarke und farbenfrohe Malereien. Menschen und Tiere, Städte und Natur, Lebenslust und Lebensangst, figürliche Darstellung und abstrakte Ornamentik. Gelegentlich schreibt sie auch Texte in die Bilder hinein. Die Ausdrucksstärke wiegt ungleich viel mehr als die vielleicht amateurhafte Technik oder Fehler in der Rechtschreibung, finde ich. 

„Ich male immer, wenn ich zornig werde“, sagt Ursula P. Das glaube ich ihr sofort. Da fließt dann die ganze Zorneskraft ab in die Linie, ins Konstruktive und Bunte. Malen bringt sie auch innerlich in Ordnung. Aber die Bilder sind mehr als das, und ich weiß, sie malt viel öfter, als dass sie zornig ist. Während sie sich ausdrückt, ist sie ein Teil vom großen Ganzen, wie alle und alles, ein aktiver Teil vom Ganzen. Das Leben lässt uns zusammentreffen, Gott tut mehr, er führt uns zusammen.

Gut, dass wir in unserm Kloster etwas haben, was sie brauchen kann: Lebensmittel und eine offene Tür. Jeden Montag bringen Mitarbeiter der Kölner Tafel uns ein Auto voll Sachen, die wir weitergeben können. Alle, die sich da engagieren, sind Ehrenamtler. Hier sortieren dann vier Schwestern die Waren weiter. Alle, die mittun, tun es umsonst.

Man mag  zu Recht kritisch fragen, ob eine solche Organisation und Verteilung, nicht Zustände in unserer Gesellschaft verfestigen helfe, die geändert gehören. – Aber was sich an diesen Tagen tut, geht über diese berechtigte Frage hinaus. Ich gebe zu, das fasziniert mich in seiner paradoxen Art.

Auch wenn alles, was verteilt wird, umsonst ist, und alle umsonst arbeiten, es ist nicht umsonst gelebt, wenn Menschen sich da einreihen, in eine Kette von Menschen einreihen, die sich gegenseitig helfen zu leben mit dem, was sie in den Händen haben. Sich gegenseitig leben zu helfen ist gut und schön, bunt und vielfältig wie die Bilder von Ursula P., die uns ihre Bilder schenkt wie das Natürlichste von der Welt.

- Sr. Johanna Domek OSB