Seltenes TondokumentLive ins „Grab der reichen Frau“

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DIe reichen Fundstücke aus Grab III, 73 sind im Römisch-Germanischen Museum zu bewundern. (Bild: Bause)

DIe reichen Fundstücke aus Grab III, 73 sind im Römisch-Germanischen Museum zu bewundern. (Bild: Bause)

Köln – „Wir sind heute Zeuge einer Ausgrabung, wie man es selten erleben kann - wir leuchten mit unserem Mikrofon hinein, wie die elektrische Birne, die angezündet ist, um einen kostbaren Schatz zu heben.“ In der Stimme des Reporters klang Ehrfurcht durch, als er vor einem Grab aus der Völkerwanderungszeit stand: Der Reichsrundfunk war an jenem Tag im Frühjahr 1939 dabei, als Archäologen unter dem Fußboden von St. Severin ein frühmittelalterliches Grab öffneten, das sie Monate zuvor bereits entdeckt hatten.

Seltenes Ton-Dokument

Die Reportage vom Schatzfund ist erhalten - im Pfarrarchiv von St. Severin wurden jüngst sechs so genannte Decelith-Folien-Platten gefunden, die natürlich nirgendwo abgespielt werden konnten. Erst als das Historische Archiv des Erzbistums die seltsamen Fundstücke in einem Tonstudio digitalisieren ließ, stellte man fest, dass es sich bei den Platten um ein außergewöhnlich seltenes Tondokument handelt. „Hört sich an wie ein früher Vorgänger von »Schliemanns Erben«,“ bemerkt Archivar Joachim Oepen mit Blick auf die beliebte ZDF-Doku-Reihe am Sonntagabend.

Berühmter Archäologe

„Das ist doch mal was anderes als diese trockenen Grabungsberichte,“ sagt Prof. Bernd Päffgen, der beste Kenner der Baugeschichte von St. Severin, als er die Reportage zum ersten Mal hört. Für ihn ist sie besonders interessant, weil er den Leiter der Grabung von 1939, den Archäologen Fritz Fremersdorf, noch persönlich kannte. Fremersdorf, der in der Reportage ausführlich zu Wort kommt, war damals Direktor der Römisch- und Germanischen Abteilung des Wallraf-Richartz-Museums, aus dem 1946 das Römisch-Germanische Museum hervorging, gestorben ist Fremersdorf 1983.

„Die ehemalige Stiftskirche St. Severin steht auf einem Gelände, das wie kein anderes in Köln archäologisch erschlossen ist“, sagt Päffgen, der zuletzt in St. Severin planmäßig gegraben und seine Ergebnisse 1992 veröffentlicht hat. Die ehemalige Stiftskirche gehört zu den ältesten Kirchen Kölns. Mindestens acht Bauetappen haben die Archäologen festgestellt; wesentliche Abschnitte der heutigen Kirche wurden im 12. und im 13. Jahrhundert errichtet, so der 1237 geweihte Chor - daher zählt St. Severin zu den romanischen Kirchen Kölns. 1802 wurde das Stift St. Severin aufgehoben, die Kirche von der Pfarrgemeinde übernommen. Im Rahmen der baulichen Erschließung des Viertels fand man schon im 19. Jahrhundert zahlreiche zahlreiche Gräber, die aus fränkischer Zeit stammen.

Die Severinskirche selbst wurde erst seit Winter 1925 / 26 archäologisch erforscht, als unter dem Kreuzgang eine Heizung eingebaut werden sollte. Dabei stieß man auf zahlreiche Brandgräber - die heutige Kirche steht bekanntlich auf einem kleinen Teil des römischen Gräberfeldes an der südlichen Ausfallstraße der Stadt. Der Fund eines frühchristlichen Grabsteins ließ Fremersdorf wiederum vermuten, dass dort bereits im 4. Jahrhundert eine christliche Grabkapelle („cella memoria“) errichtet worden ist.

Das Umfeld dieser Kapelle, die später erweitert und möglicherweise seit der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts von einer kleinen Gemeinde zu Gottesdienstzwecken genutzt wurde, zählte zu den „beliebtesten“ Bestattungsplätzen im fränkischen Köln. So fanden Fremersdorf und seine Mitarbeiter zu Beginn der 1930er Jahre westlich des Kreuzgangs Gräber aus merowingischer Zeit (5. bis 7. Jahrhundert).

Gläser und Holzkästchen

Im Dezember 1938 stieß man schließlich im Erdreich unter der Kirche auf ein Steinplattengrab, das den Namen III, 73 erhielt. Es enthielt - so ergab schon ein erster Blick in den Sarkophag - einen in sich zusammengefallenen Holzsarg, eine Metallschale, Gläser und ein Holzkästchen. Zur Öffnung des Grabs, das man später das „Grab der reichen Frau“ nannte, wurde im Frühjahr 1939 eigens der Kirchenboden durchbrochen. Und man lud Journalisten ein - so bekam Fremersdorf die Gelegenheit, die Bedeutung der Funde für die Archäologie der Frankenzeit zu erläutern. „Mehr als alle schriftlichen Berichte vermittelt dieses Tondokument die Begeisterung, die damals um die Funde herrschte“, sagt Archivar Oepen.

Die hielt an, als man kurze Zeit später das „Grab des Sängers“ aus der Zeit um 700 fand, in dem sich golddurchwirkte Textilien und eine Leier befanden. Die Fundstücke aus beiden Gräbern werden heute im Römisch-Germanischen Museum aufbewahrt und ausgestellt.

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