Und die Beueler Seele summt dazu
Ein großer Abend für ein großes Glockenspiel Von Alexander Brüggemann Leise, fast schüchtern erhob es sich, als die 55 Spielglocken endlich ertönten: ein leises Summen auf dem Platz vor der Josefskirche. ?Ein Haus voll Glorie schauet? summten rund 1.000 Besucher ? oder war es die Beueler Seele, die da summte; zufrieden, dass ein Vierteljahrhundert des Schweigens endlich vorüber war? Die Schweinwerfer ausgeschaltet, die Reden geredet ? dieser Moment gehörte der Andacht und der Dankbarkeit, den Blick gelenkt von bengalischen Feuern auf den rot erleuchteten Glockenturm. An einem großen Beueler Abend hat die Bürgerschaft ihr Carillon zurückerhalten, eines der größten und höchstwertigen in ganz Europa.Es war ein Fest der Freude, eingeleitet von einem prächtigen Gottesdienst. Einmal mehr durfte
Dechant Dr. Wilfried Evertz erleben, warum Pfarrer in Beuel das zweitschönste Amt der katholischen
Kirche ist - gleich nach dem Papst. In Anwesenheit des Europäischen Schifferseelsorgers Bernhard
van Welzenes, Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und zahlreicher Fahnenabordnungen der Beueler
Vereine ermunterte Regionalbischof Heiner Koch die Christen in der voll besetzten Josefskirche,
selbst „Glockenspiele Gottes“ zu sein und Töne der Hoffnung und des Glaubens in ihre
Umwelt zu tragen.
Der Aufruf trug gleich reiche Früchte – denn beim Bühnenprogramm herrschten deutlich die
guten Töne vor. Moderator Ralf Birkner leitete launig durch Reden und musikalische Beiträge. Und
Dr. Stephan Kern, Stellvertretender Vorsitzender des Beueler Kirchenvorstands, richtete den Blick
vor allem auf die Verdienste des Schiffervereins: Wie schon beim Bau der Josefskirche vor rund 130
Jahren seien dessen Mitglieder auch diesmal mit Initiative und Tatkraft vorangegangen und hätten
mit ihrem Spendenaufruf an die Beueler Bürger die Restaurierung überhaupt erst möglich gemacht.
Auch die vorbildliche Zusammenarbeit von Schifferverein, Kirchengemeinde und Erzbistum Köln sowie
den Zusammenhalt von Beueler Kirchen- und Bürgergemeinde hob Kern hervor.
Fulminant die Ansprache von Schifferbruder und Oberbürgermeister Nimptsch. Nicht nur, dass er
seinen Beitrag mit großer Geste und trefflichen Zitaten aus Schillers Glocke flankierte. Im Stile
eines Cicero bei dessen Reden gegen Verres beklagte er auch, worüber er wegen der Würde seines
Amtes nun alles nicht mehr sprechen könne – um es dann doch zu tun: über die Bedenkenträger
etwa, als beim großen Pfarrjubiläum vor fast genau drei Jahren Schiffer-Käpt’n Reiner
Burgunder die Idee einer Restaurierung des Carillons öffentlich machte. Nun, aus den vermeintlichen
„Rosinge im Kopp“ sei jedenfalls heute Abend Realität geworden, so
Nimptsch.
Einem der wichtigsten Protagonisten des Carillon-Projekts verlieh der OB unter dem Applaus des
Publikums den Verdienstorden „Beueler Seele“: Claus Werner Müller, dem Pressesprecher
des Schiffervereins. Käpt’n und Konditor Burgunder seinerseits übergab – symbolisch für
das restaurierte „Adelheidis-Spiel“ – eine große Schokoladenglocke an die
Pfarrgemeinde St. Josef. Und nicht nur dafür, sondern auch für seine sonstige große Präsenz verlieh
ihm an diesem Abend der Glocken Moderator Birkner den Kosenamen „Dicker Pitter von
Beuel“.
Nach der feierlichen Einsegnung durch Weihbischof Koch, nach dem gemeinsamen symbolischen
Knopfdruck durch Kirche, Kommune und Schifferverein und nach dem Auftritt der „Bonner
Böllerschützen“ klang endlich die Glockenkunst von Carillonneur Andreas Strauß eher zart. Ein
stiller großer Moment. „Wir waren schon damals 1962 dabei, als das Glockenspiel zum ersten
Mal eingeweiht wurde“, berichten die Mittachziger Kurt und Elisabeth Krämer gerührt –
und so dürften viele der alten Beueler gefühlt haben.
Zu hoffen ist, dass Bürgersinn und Weitblick diesmal reichen werden zum Erhalt dieses
einzigartigen Instruments. Schifferverein und Kirchengemeinde planen bereits die Gründung eines
Vereins der Freunde des Glockenspiels - und mit der Spezial-firma Koninklijke Eijsbouts in den
Niederlanden einen Wartungsvertrag. Als zum Abschluss des Abends der Franziskanerinnenplatz von
Wunderkerzen erleuchtet war und aus Hunderten Kehlen das „Großer Gott, wir loben dich“
erklang, schien jedenfalls undenkbar, dass in 50 Jahren noch einmal eine so große Anstrengung
notwendig sein wird.
Hinweis: Die Festschrift von Claus Werner Müller ist für zehn Euro im Pfarrbüro St.
Josef, beim Schifferverein und beim Beueler Heimatverein erhältlich. Der Erlös dient dem Erhalt des
Carillons.
Die Geschichte des Beueler Glockenspiels
Die Geschichte des Beueler Glockenspiels ist ein kurzes, aber heftiges Auf und Ab: Als seine
55 Spielglocken 1962 neben den 7 Läuteglocken von St. Josef installiert wurden, ging für
Nachkriegspfarrer Adam Bodewig ein Traum in Erfüllung. Den wechselnden Bundesregierungen jenseits
des Rheins konnte er sein „Üb immer treu und Redlichkeit“ um die Ohren bimmeln.
Einmalig: Das Beueler Instrument, das über fünfeinhalb Oktaven verfügt, kann auf drei Arten
gespielt werden: „faustisch“, d. h. mit den Fäusten über eine Tastatur, händisch über
eine Klaviatur oder mechanisch per Lochkarten.
Allerdings war schon in den 70er Jahren fast überall in Deutschland die hohe Zeit der
Glockenspiele vorbei. Auch das Beueler Carillon wurde mehr und mehr vernachlässigt; nicht mal das
Lied-Repertoire für die automatische Bespielung wurde mehr saisongemäß aktualisiert. Fortan waren
es vor allem Gaststudenten aus dem Ausland, die noch Interesse für das wertvolle Instrument
zeigten. Der US-Amerikaner James Gilles Saenger, später bestallter Stadtcarillonneur in
Aschaffenburg und an der National Cathedral St. Peter & St. Paul in Washington, legte im
Oktober 1976 ein Gästebuch für die Spieler des Beueler Carillons an. Der letzte Eintrag darin
stammt aus dem Jahr 1989.
Im Sommer 2007 verkündete der Beueler Schifferverein öffentlich sein Großprojekt: 2012 - zu
seinem 150. Jubiläum (und dem 50. Geburtstag des Glockenspiels) - sollte das Instrument durch
Spendengelder wieder intakt sein. Schon bald war eine so große Summe beisammen, dass die führende
Spezialfirma Koninklijke Eijsbouts aus Asten/Niederlande beauftragt werden konnte - und schon zwei
Jahre früher als geplant ist das Restaurierungswerk vollendet.