ERZBISTUM KÖLN

Kirche im Wohnzimmer

Leere Kirchen, Priestermangel - schon jetzt wird längst nicht mehr in jedem Ort ein Sonntagsgottesdienst gefeiert. Wie wird das erst in 20, 30 Jahren sein? Sechs Thesen und sechs Gründe, nicht pessimistisch zu sein

Christian Bauer, seit ganz Kurzem Professor für Pastoraltheologie, kann seine erste Vorlesung an der Uni Innsbruck nicht halten. Auch den Interview-Termin muss er absagen. Fieber, das passt irgendwie. Es mag damit zu tun haben, dass ich im Bistum Augsburg lebe, wo unlängst eine wild umstrittene Strukturreform angekündigt wurde. Hier kommt mir die Kirche zurzeit auch vor, als würde sie fiebern. An vielen Stellen passiert Hitziges und niemand scheint so recht zu wissen, ob man die Temperatur panisch senken sollte oder ob sie nicht doch dem Organismus als Ganzem guttut. Was in Augsburg gerade akut ist, haben viele andere Diözesen schon hinter sich oder sie stecken mittendrin: Mal mehr, mal weniger fieberhaft werden Pfarreien zusammengelegt, Pfarrgemeinderäte umbenannt, Pastoralreferenten ausgestellt oder erst gar nicht eingestellt, sonntägliche Wortgottes-Feiern hier gefördert und dort untersagt – alles begleitet von Diskussionen, die mal zielführend und mal nur ideologisch sind.

Selbst wenn sich mir manche Fragen noch gar nie gestellt hätten – in dieser Zeit würden sie sich mir aufdrängen: Wo und wie werden wir in mittelferner Zukunft, in 25, 30 Jahren, noch unseren katholischen Glauben leben können? Wird es meine Pfarrgemeinde dann noch geben? Wird unsere Pfarrkirche noch eine Kirche sein oder vielleicht ein Hotel? Eine Galerie? Eine C&A-Filiale? Gibt es die Caritas-Sozialstation noch, wenn meine Eltern in die Jahre kommen? Und werden meine Kinder noch Religionsunterricht haben? Zwar gibt es keine kirchlichen Zukunftsforscher, durchaus aber Wissenschaftler, die sich jenseits von detaillierten Hochrechnungen mit der Zukunft der Kirche befassen. Christian Bauer zum Beispiel. Er bietet eine Reihe beruhigender Zukunftsthesen:

1. Wir werden uns an Priestermangel gewöhnt haben.
Gar keine Frage: Was wir heute einen Mangel an Geistlichen nennen, werden wir in absehbarer Zeit als Luxuszustand bezeichnen. Nach einer Prognose der Bistümer haben schon in zehn Jahren zwei Drittel der Gemeinden keinen eigenen Pfarrer mehr. Die Folge: „Die Kirche in 30 Jahren wird dort, wo sie noch oder wieder lebendig ist, sehr viel weniger klerikal sein als heute – ganz einfach, weil es weniger Priester geben wird“, sagt Christian Bauer. „Damit nähern wir uns aber einer ganz normalen Situation an: Kirchengeschichtlich wie weltkirchlich betrachtet ist der Priestermangel der Normalzustand.“ Und dennoch: Die Anzahl der Katholiken weltweit steigt jedes Jahr – offenbar auch ohne flächendeckende pastorale Allround-Versorgung.

2. Die Kirche wird wesentlich kleinteiliger sein.
Je weniger Kirchenmitglieder es gibt, umso weniger werden ihre Wege des Christseins in vorgegebene Strukturen passen, meint Christian Bauer. „Der pastorale Raum ist heute schon ein kunterbunter Garten der Vielfalt. Wenn kein Pfarrer mehr vor Ort ist, sollten wir als gute Gärtner umso mehr darauf achten, was unter den Christen schon jetzt wächst. Wo sind beispielsweise alternative Gottesdienstformen am Platz?“ Das heißt etwa: Was für die eine Pfarrei passend ist, muss es nicht für die Nachbarpfarrei sein. Grundsätzlich werden wohl manche Gemeinden blühen – und in anderen wird gar nichts mehr stattfinden. Dafür werden andere kirchliche Ort an Bedeutung gewinnen und mit den klassischen Pfarreien ein Netzwerk bilden: „Von Klöstern und geistlichen Gemeinschaften über Jugendkirchen, Citykirchen, Hochschulgemeinden, Pastoral in Kliniken, Gefängnissen und Kindergärten bis hin zur Caritas-Schuldnerberatung – Glaube kann überall wachsen und gedeihen.“

3. Es wird viel weniger Kirchenmitglieder geben.
In einzelnen Dörfern in Oberbayern mag es heute noch so sein, dass bis auf zwei muslimische und ein protestantisches Kind alle Fünftklässler gefirmt werden. Aber der Trend geht schon seit Jahrzehnten in eine andere Richtung. „Wir müssen uns von der Denkweise ,Wie viele bleiben von einem Jahrgang?‘ verabschieden“, sagt Christian Bauer. Schon deshalb, weil es in Zukunft zwar wesentlich mehr Erwachsenentaufen, aber auch sehr viel weniger Säuglingstaufen geben werde. Das muss uns jedoch nicht zwangsläufig beunruhigen. „Wir sehen die Zahlen weniger werden und vermuten, dass deshalb auch Gott weniger wird“, sagt Christian Bauer. „Aber Gottes Wirken hängt nicht ab von den Mitgliedszahlen seiner Kirche.“

4. dafür gibt’s mehr „Kirchensympathisanten“.
Jesus selbst hätte das lockerer gesehen, ist der Pastoraltheologe überzeugt. Schließlich habe er Menschen in abgestufter Zugehörigkeit um sich versammelt: Im Zwölfer-Kreis der Apostel, im 72er-Kreis der Jüngerinnen und Jünger, im Kreis der Sympathisanten. „Es gab sogar die, denen Jesus nur ein einziges Mal begegnet ist“, sagt Christian Bauer. „Obwohl er sie in keine seiner Gruppen berufen hat, haben sie doch vollgültiges Heil erfahren.“ Vor allem Menschen, die in einer „interessierten Halbdistanz“ zur Kirche stehen, werde es in 30 Jahren mehr geben. Solche also, die wie Zachäus im Evangelium auf den Bäumen sitzen und Jesus beobachten oder solche, die in der Apostelgeschichte als „Ring staunender Menschen“ bezeichnet werden. „Eine alte Einrichtung des Tempels in Jerusalem, der sogenannte ,Vorhof der Heiden‘, wird dann wieder sehr aktuell werden.“ Die Schwelle möglichst niedrig halten für alle, die näher kommen wollen, sollte dann die Aufgabe sein.

5. Die Kirche wird immer noch politisches Gewicht haben.
Auch in 30 Jahren wird die katholische Kirche wohl noch eine Körperschaft öffentlichen Rechts sein, also gesellschaftlich wie politisch nicht in der Belanglosigkeit versinken. Auch Einrichtungen wie die Caritas werden dann noch existieren – und auch noch finanziert werden können. „Irgendwann einmal wird die Kirchensteuer sicher fallen“, sagt Christian Bauer. „Aber vermutlich noch nicht in 30 Jahren.“

6. Christliche Gemeinden werden wie Oasen sein.
In Zukunft, vermutet Christian Bauer, wird es wenige, aber dafür sehr starke und konzentrierte christliche Zentren geben. Das können sogenannte Hauptliturgieorte sein, aber auch Nebenliturgieorte oder Gemeinschaften, die sich wie im Urchristentum ganz einfach zu Hause treffen. „Die Kirche wird so klein werden, dass sie wieder in ein Wohnzimmer passt“, sagt der Theologe. Solange diese kleine Kirche eine fröhliche, weltoffene Minderheit darstellt und keinen abgeschotteten „heiligen Rest“, sieht er darin aber keine Gefahr. „Solche ausstrahlungsstarken Gemeinden werden wie Oasen sein“, sagt er. „Sie bedecken nicht die ganze Wüste, aber ihre Wasserquellen sind für vorbeiziehende Karawanen von unschätzbarem Wert.“

Claudia Dambacher
Juli 2012 /  Stadt Gottes

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