Festrede für Johann Gregor Breuer (mit Audioversion)
Wir freuen uns, mit Ihnen heute diese Festmesse zur Ehren des 200. Geburtstages von
Johann Gregor Breuer zu feiern. Und – wir stehen am Vorabend des Advents 2021. Wie
können wir nun beide Anlässe gebührend mit einander verknüpfen? Nun – wir versuchen es,
mit der Person Johannes des Täufers.
Johannes – der Rufer in der Wüste, der Hinweis gebende auf Gott – begegnet uns immer
wieder in der vorweihnachtlichen Zeit. Er ist die Urgestalt eines adventlichen Menschen. Der
eigenen Berufung folgend lebt er das Leben eines Asketen in der Wüste. Es geht ihm
grundsätzlich um das Wesentliche: die Beziehung zu Gott.
Er wusste, dass es um Wesentliches geht, wenn er den Menschen die Möglichkeit zur
Umkehr – zum neuen Blick auf die eigene Lebensrichtung – predigt. Er weiß um die Zusage
und den Trost, dass Gott keinen Menschen fallen lässt und ein Aufbruch immer möglich ist.
Er bietet den Menschen einen Neubeginn in ihrer Beziehung zu Gott an. Und tut dies mit
dem Zeichen und dem Ritus der Reinigungstaufe.
So groß seine Anhängerschaft auch ist – er stellt seine eigene Person immer in den Hinter-
grund.
Im Evangelium hörten wir eben davon: „Ich bin nicht der gesalbte Messias, sondern gehe nur
vor ihm her.“ Vielleicht kennen Sie das Bild des Isenheimer Altars: Da steht ein Johannes der
Täufer in einfachem roten Gewand, die Schrift in der Hand und das Lamm Gottes zu seinen
Füßen neben dem Kreuz. Mit einem weit – ja expressiv – ausgestrecktem Finger zeigt er auf
den übergroßen gemarterten Christus. Es ist der Auftrag des Johannes, auf ihn zu weisen. Es
geht ihm nur darum, Christus groß zu machen. „Er muss wachsen, ich aber geringer wer-
den“.
Ich bin der Überzeugung, dass auch Johann Gregor Breuer von dieser Theologie geprägt war.
Unter seinen Freunden wurde er sogar „Bruder Johannes“ genannt. Und das sicherlich nicht
nur wegen seines Vornamens.
Am Ende seines Lebens – so schildert es Fritz Jorde in seiner Breuer-Biografie – sagt Breuer
auf dem Sterbebett: „In dem was ich gewollt, und in dem was ich getan, suchte ich nicht
meine Ehre, ich suchte die Ehre Gottes“.
Er war auch nur ein Zeigender. Ein Zeigender zu sein, bedeutet nicht, dass er sich selbst
zum Verschwinden bringt. Von ihm lässt sich vielmehr lernen, dass ein Geringerwerden um
Gottes willen gerade keine Abwertung oder gar Auflösung der eigenen Person meint. Um-
gekehrt: Es ist die richtige Antwort auf Gottes Angebot der Freiheit. Es ist die angemessene
Antwort darauf, dass Gott uns dazu beruft, in Freiheit wir selbst zu sein.
Die geistliche Qualität des Geringerwerdens besteht darin, die Freiheit zu nutzen, die Gott
schenkt. Und diese wird in der wechselseitigen Zuwendung bewahrt. Freiheit sondert die
Menschen nicht voneinander ab, macht nicht den einen klein und einen anderen groß,
sondern ordnet sie einander zu. Geistliches Geringerwerder bedeutet, frei zu werden für
das Zeugnis des Glaubens und den Dienst am Nächsten.
Dass Johann Gregor Breuer diesen Dienst geleistet hat, können wir an den vielen Gemein-
schafts- und Vereinsgründungen ablesen, die alle das Ziel hatte, den Menschen – vor allen
jenen in Not – zu helfen. Er war ein Netzwerker, Beziehungsstifter zum Wohle der Men-
schen und zu Gottes größerer Ehre.
Nun mag ich ihn selbst – in seiner unnachahmlichen sprachlichen Weise – selbst zu Wort
kommen lassen. Als Passage aus seiner Autobiografie habe ich einen Text gewählt, der an
einen seiner Geburtstage zu Lebzeiten und an ein folgenreiches Versprechen, erinnert.
(Aus: Johann Gregor Breuer, Was für Jahre! Lebenserinnerungen, hrsg. Klaus Goebel, Dortmund 1995)
„Meine zweite Anstellung in Elberfeld erfüllte nicht sofort meine Hoffnung und Erwartung.
[...]
Die Mädchenschule zählte nunmehr drei Klassen mit drei Lehrern. [...] Herr Ramacher war
vom Amt (des Hauptlehrers) zurückgetreten. 64 Jahre alt und ermüdet von schwerer, mehr
als 40jähriger Amtstätigkeit, hatte er zugunsten seines Hilfslehrers August Jansen, der mit ei-
ner Tochter des Hauses verlobt war, resigniert; und dieser (August Jansen) [...], der seine
Lehrtüchtigkeit erprobt und sich als gediegener Schulmann des besten Rufes zu erfreuen
hatte, rückte unter Gutheißung der Schulbehörde – ohne die sonst übliche förmliche Wahl -
in die Stelle seines nunmehrigen Schwiegervaters auf, und zwar zur selben Zeit (Ostern 1844),
da ich als erster Hilfslehrer die Leitung der II. Klasse übernahm. [...]
(Allein) Jansens Tage waren gezählt. Noch bevor regierungsseitig die Bestätigung seiner
Wahl zum Hauptlehrer der Mädchenschule eingetroffen war, legte der Tod die Sichel an sein
junges, hoffnungsreiches Leben. 28 Jahre alt, verstarb er am 18. Mai 1845 nach kaum achttä-
giger Krankheit an den Folgen eines hartnäckigen Nervenfiebers. [...]
Die mannigfaltigen Besorgungen und Arrangements für eine würdige Bestattung der Leiche
waren mir anvertraut, ebenso die vorläufige Vertretung des Verstorbenen in seiner Schul-
klasse wie überhaupt in seinen Amtspflichten. [...]
Der Sommer ging dahin, und von einer ordnungsgemäßen Wiederbesetzung der Stelle verlau-
tete nichts [...] Da erschien endlich im Oktober 1845 das vom Oberbürgermeister von Carnap
unterzeichnete Ausschreiben der Stelle im Düsseldorfer Regierungsamtsblatt mit der Auffor-
derung, dass sich zur Übernahme geneigte Schulamtskandidaten (Seminaristen) unter Vor-
lage ihrer Zeugnisse ungesäumt zu melden hätten. Die Zahl der Bewerber bezifferte sich, wie
ich erfuhr, auf 94, von denen nur drei in die engere Wahl kamen.
Zu dieser Dreizahl gehörte nun auch meine Wenigkeit. [...] Dass meine Wahl in die Dreizahl
Mut und Hoffnung in mir belebten, ist klar. Als ich indes die höchst klangvollen Namen mei-
ner beiden Rivalen erfuhr, wollte mir doch das Herz in die Schuhe fallen. [...]
Nun kamen unsere sogenannten Probelektionen, die wir vor versammelter Schulkommission
in meiner Klasse abzuhalten hatten. Meine beiden Mitbewerber gingen mir voraus; zuletzt,
und zwar am 21. November 1845, kam die Reihe an mich. Ich hatte mein Selbstgefühl und
meinen sinkenden Mut neu gestärkt und belebt im vertrauensvollen Gebet. [...]
Meine Schülerinnen waren vollständig erschienen, und zwar in ihrem besten Anzug, als ob ́s
eine Parade gelte. [...] Ich hatte mir vorgenommen, jede irgendwie passende Gelegenheit zu
benutzen um möglichst alles, was meine Kinder gelernt hatten, wußten und konnten, ans
Licht zu ziehen und meine Schule nach der besten Seite zu zeigen. [...] Meine Schülerinnen
hatten sich samt und sonders und in jeder Hinsicht musterhaft gehalten. [...]
Der 25. November 1845, gerade am Vorabend meines 25. Geburtstages, brachte die Ent-
scheidung. Herr Schulsekretär Eichholz wurde aus der Schulkommissionssitzung entsandt, mir
die Mitteilung zu bringen, dass ich einstimmig gewählt sei. Für das Gefühl, welches mich bei
dieser überraschenden Nachricht übermannte, fehlte mir damals, fehlt mir auch heute noch
der entsprechende Ausdruck. Ich erinnere mich nur, dass ich das Bedürfnis hatte, allein zu
sein, zu beten und zu weinen. Zu Hause konnte ich dies nicht; ich ging also hinaus [...] Mein
Weg führte mich am Gesellschaftslokal des „Parlaments“ vorbei, hier war um jene Zeit kein
Besuch. Ich trat also ein, ließ mir Licht und einen Schoppen Wein geben und feierte still für
mich, ohne irgendeinen Zeugen, den Vorabend meines Geburtstages und meine Neugeburt in
Hinsicht auf meine nunmehr veränderte Lebenslage [...]
Am nachfolgenden Tag hatte (Kollege) Jung ein Schulfest geplant, dem ich aber durchaus ent-
gegen war. Nichtsdestoweniger musste ich mir die Beglückwünschung meiner Kinder gefallen
lassen. Während derselben trat Herr Pastor Friderici in die Schule ein und gratulierte seiner-
seits nicht nur mir, sondern auch den Kindern mit einer recht herzlichen Ansprache. Was ich
damals in meinem und der Schulkinder Namen antwortete, weiß ich nicht mehr.
Nur die Erinnerung lebt in meiner Seele, dass ich geweint und dem Pastor in die Hand ver-
sprochen und gelobt habe, ein treuer, gewissenhafter Lehrer zu sein und auch sonst an mei-
nem Teil nach meiner bescheidenen Kraft zum Segen der Gemeinde tätig mitzuwirken.“